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 Welche Allianz für die EU und Russland ?
Welche Allianz für die EU und Russland ?
Betrachtungen zur Achse
Paris-Berlin-Moskau
Von Karin Kneissl für MUT (Nr. 433, September 2003)
Allianzen sind von Natur aus zerbrechlich. Handelt es sich doch um Zweckbündnisse, um politische Interessenskonstellationen, die bei einer Veränderung der Lage rasch auseinanderfallen können. Ein „renversement des alliances" nennt dies die Diplomatie. Geschehen ist dies wohl jüngst mit der Energie Allianz zwischen Russland und den USA. Noch im Mai 2002 hatten die Präsidenten George W. Bush und Wladimir Putin diese Partnerschaft mit einem Festakt im Kreml bekräftigt. Bei ihrer ersten Begegnung im Juni 2001 in Ljubljana sprachen die beiden Staatschefs in ihrer gemeinsamen Pressekonferenz mehrfach bereits von einer Energiepartnerschaft. Die dahinterstehende Idee lautete: US-Technologie und Kapital für die Förderung der russischen fossilen Brennstoffe, um auch von den Energiequellen des (islamischen) Golfs abhängig zu sein. Ähnliches war jedenfalls schon zwischen den Zeilen im Energieplan von Bush im Frühjahr 2001 zu lesen. Doch seither hat sich die Welt verändert.
Irakkrise hat die Karten in Moskau neu gemischt
Das politische Kräftemessen rund um den Irak Krieg hat auch neues Licht auf das Verhältnis zwischen Washington und Moskau geworfen. Zudem könnte sich mit einer Rückkehr des Irak, der über die zweitwichtigsten Rohölreserven von hoher Qualität und niedrigen Förderkosten verfügt, das Interesse amerikanischer Investoren an den eher schwer zugänglichen und meist sibirisch kalten Erdöl- und Erdgasfeldern der Russischen Föderation gewaltig vermindern. Von dem gemeinsamen Projekt, die Schwankungen der Energiepreise auf dem von der Opec mitbeherrschten Rohölmarkt zu reduzieren und US-Investitionen im russischen Erdölmarkt zu forcieren, ist spätestens seit der Übernahme des irakischen Ölministeriums durch US-Streitkräfte, nicht mehr viel übrig. Nach dem vorläufigen militärischen Ende der US-Operation im Irak müssen zudem die russischen Ölkonzerne, die lange im Irak technische und politische Vorarbeit für Konzessionen an irakischen Ölfeldern geleistet hatten, erzürnt mit ansehen, wie die ersten Verträge exklusiv an US-Firmen, so an die mit der Bush Administration eng verknüpften Halliburton Gruppe, gehen. Entstanden ist jedoch im Windschatten des brisanten Tauziehens im UN-Sicherheitsrat im Frühjahr 2003 eine interessante und dichte Kooperation zwischen Paris, Berlin und Moskau. Die Außenminister dieser drei Staaten, die auch im Sicherheitsrat vertreten sind, bezogen zuletzt am 21. Mai anlässlich der Übertragung eines beschränkten humanitären Mandats an die Vereinten Nationen im Irak in einer gemeinsamen Erklärung Stellung. Diese Deklaration der Außenminister lässt jedenfalls mehr Gemeinsamkeiten zwischen diesen drei Staaten erkennen als gegenwärtig jedes einzelnen im Verhältnis zu den USA möglich wäre. Existiert also schon so etwas wie eine Achse Paris-Berlin-Moskau, die so mancher Beobachter in der intensiven Besuchsdiplomatie zwischen diesen Kapitalen zu erkennen glaubte ?
Logische Allianz ?
Ein Internet Forum unter dem französischen Titel www.paris-berlin-moscou.org existiert schon seit zwei Jahren. Die Beiträge beinhalten vor allem Betrachtungen zur deutsch-französischen Partnerschaft und Hervorgegangen ist es unter anderem aus einer gleichnamigen Publikation, die im Frühjahr 2002 in Frankreich erschien. Der Autor Henri de Groussouvre will mit seinem Plädoyer für eine verstärkte Partnerschaft zwischen Europa und der Russischen Föderation die traditionelle Position von Präsident Charles de Gaulle und ihre Gültigkeit für unsere Zeit bewerten. Zur Erinnerung, De Gaulle sprach sehr zum Missfallen Moskaus konsequent nie von der „Union Soviétique", sondern stets nur von „Russie". Für den Gaullisten de Groussouvre sprechen vor allem geopolitische Überlegungen für eine verstärkte europäisch-russische Partnerschaft, die gewissermaßen jene Landmasse namens Eurasien in seinen Ressourcen und Möglichkeiten auf eine neue Ebene hieven würde.
Unsicherer Partner Russland
Hat nun gar der Irakkrieg eine solche Annäherung, die wohl das Schreckgespenst schlechthin für US-Strategen sein muss, beschleunigt ? Verlockend erscheint die Idee allemal. Sprechen doch geopolitische ebenso wie kulturhistorische Aspekte für eine enge Partnerschaft zwischen Europa und Russland. Und zugleich beginnt auch wieder das Grübeln über die Zugehörigkeit Russlands und die spezifische Lage der Ukraine und Georgiens, die sich aus ihrer Sicht viel mehr noch Europa verbunden fühlen. Andererseits taten sich russische Intellektuelle zu allen Zeiten gerne als Kritiker des Westens hervor. Russland bleibt vorerst im Dilemma mit sich selbst. Bewegt es sich unter Putin wieder auf eine Autokratie zu ? Allein die Auswirkungen des Tschetschenien Feldzugs auf die Moral der Armee und die Sicherheit in den russischen Städten werfen viele Fragen auf. Mit europäischen Werten ist das russische Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung im Kaukasus ohnehin völlig unvereinbar. Putin kann sich noch so beeindruckend als galanter Gastgeber im Schlosspark von St. Petersburg als aufgeklärter Herrscher geben, die Bilder von Grosny sprechen eine andere Sprache.
War eine solche starke Hand nach den Jahren der Anarchie unter Boris Jelzin unvermeidbar ? Wie (un)sicher Investitionen in die russische Wirtschaft angesichts mafiöser Oligarchien und politischer Interventionen bleiben, belegen auch die jüngsten Vorgänge rund um das Wirtschaftsimperium des dubiosen Michail Khodorovsky vom Ölkonzern Lukos. In Zeiten brüchiger Konturen, die rasch zu neuen Konstellationen führen können, ist es noch viel zu früh, solide Aussagen über eine europäisch-russische Allianz zu treffen. Doch befassen wir uns in der Folge mit einigen der Für und Wider einer solchen institutionalisierten Partnerschaft, nicht zu letzt im Licht der Folgen des Irakkrieges.
Zerrissenes Europa
Vergessen wir nicht: ab Mai 2004 treten zehn Staaten der EU bei, die zu einem großen Teil bis vor wenigen Jahren Satelliten der UdSSR waren. Sie können den neuen oder vielleicht auch alten russophilen Partnern in Brüssel wenig Sympathien entgegen bringen. Von einer europäisch-russischen Line auf dem multipolaren Kräftefelds, wie es Frankreichs Präsident Jacques Chirac sieht, hält man in Warschau oder Prag wenig. Viel eher orientiert man sich hier an einer US-Linie. Und die USA haben begriffen, wie leicht man als Balancemacht einzelne europäische Staaten gegeneinander ausspielen kann. Bedauerlicherweise lassen wir Europäer dieses unverhohlene „divide et impera" zu. In der Irakfrage war es nicht zuletzt der Wunsch all jener, die sich per Anzeige im Wall Street Journal zur transatlantische Achse bekannten, von einer wohl zu dominanten deutsch-französischen Linie nicht vereinnahmen zu lassen.
Mit Bekenntnissen zu einer fiktiven gemeinsamen Außenpolitik diese tiefen Spaltungen in Europa zu übertünchen, wird auf politischer Ebene nicht so rasch gelingen. Daran vermag – zumindest kurzfristig – auch die Mobilisierung der Zivilgesellschaft wenig ändern. Die kontinentaleuropäische öffentliche Meinung hat sowohl durch Demonstrationen als auch in Umfragen massiv eine Politik befürwortet, die sich von den USA distanzierte. Dies stellt einen absoluten Präzedenzfall für die europäische Entwicklung dar. Andererseits wie viele Berliner oder Römer haben gegen die Menschenrechtsverletzungen auf russischem Boden demonstriert ?
Die internationalen Beziehungen unserer Zeit definieren sich nach dem Verhältnis, das ein Staat zu den USA unterhält. Und in diesem Licht zeigen sich der aktuelle italienische Ratspräsident der EU, Silvio Berlusconi, ebenso hemdsärmelig wie der Brite Tony Blair oder der in Spanien immer umstrittenere José-Maria Aznar strahlend mit ihrem Gastgeber Bush in Texas. Zu den ausgewählten Gästen auf der Ranch gehört auch St. Petersburger Wladimir Putin. Moskau will vorerst geschickt einen Kurs der Äquidistanz zu Washington und Brüssel segeln. Ihm ist wichtig, ebenbürtiger Gesprächspartner der Amerikaner zu sein und die Nähe des europäischen Kapitals zu nutzen.
Wie viel russische Energie verträgt Europa ?
Was spricht also für eine russisch-europäische Partnerschaft ? Zweifellos die Wirtschaft, insbesondere der Energiemarkt, respektive der russische Absatzmarkt. So verkündete Putin in perfektem Deutsch in seiner Rede vom dem Bundestag am 25. September 2001: „ (..) ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbständiger Mittelpunkt der Weltpolitik nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird."
Während deutsche Positionen vor allem durch wirtschaftliche Interessen bestimmt werden, ist Frankreich stets geneigt, seine Russlandpolitik im Rahmen eines Strebens nach einer „multipolaren Weltordnung" zu formulieren. Beide Ansätze müssen jedoch nicht inkompatibel sein, sondern können sich sinnvoll ergänzen. „Mit einer Präsenz von 1800 deutschen Unternehmen in Russland, einer Gesamtschuld Russlands gegenüber Deutschland von 27,5 Milliarden US-Dollar sowie einer Deckung des deutschen Gasbedarfs zu 35 Prozent aus Russland (Tendenz steigend) besteht ein prioritäres deutsches Interesse an der Stabilisierung der für ökonomische Interessen wichtigen Rahmenbedingungen," so lässt sich wohl ein überzeugender Argumentationskatalog wirtschaftlich formulieren.
Il n’y a pas d’Europe européenne, il n’y a pas d’Europe indépendante dans le monde tel qu’il est, s’il ne s’établit pas un axe Paris-Berlin-Moscou, qui est l’axe de l’indépendance européenne.")
Französische Politiker formulieren die Notwendigkeit einer engen Partnerschaft zwischen den drei Mächten mit dem Hinweis auf die Unabhängigkeit Europas: „Demnach könne es nur ein europäisches Europa geben, wenn die Achse Paris-Berlin-Moskau als Achse der europäischen Unabhängigkeit gibt."
Ein wesentlicher Faktor für Unabhängigkeit ist die Energieversorgung. Geradezu als die Alternative für die Europäer zu einer US-Hegemonie am ölreichen Golf präsentiert sich die russische Ölwirtschaft. „Europa und Russland sind aufgrund ihrer geografischen Nachbarschaft, ihrer Geschichte, auch in Energiefragen natürliche Verbündete," betont Alexander Karpushin, regionaler Vertreter von Rosneft. Dieser letzte Ölkonzern, der zu 100 Prozent noch in staatlicher Hand ist, bietet sich mit seinen Expansionsplänen europäischen Investoren an. Auch eine noch stärkere Bindung des Ölmarkts an den US-Dollar sorgt für wenig Freude. Im Gegenteil, innerhalb der neuen Gesprächsforen zwischen Paris, Berlin und Moskau wird konkret diskutiert, künftig Erdöl in Euro statt in Dollar abzurechnen. Und eine immer stärker von den USA in die Ecke gedrängte Opec, der gar drohen könnte, dass ihr Gründungsmitglied Irak von den USA aus dem Kartell herausgelöst wird, findet eine solche Perspektive attraktiv.
Doch auch im Ölgeschäft gibt es keine Freundschaft, die Zahlen müssen stimmen. Wenn die Förderbedingungen andernorts attraktiver sind, dann werden wohl auch die Bohrungen in Russland nachlassen. Das wissen die Russen nur zu gut. Die Ölproduzenten innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, die Russische Föderation, Kasachstan und Aserbeidschan haben nur mehr geringe Sonderkapazitäten. Russland überholt derzeit den weltweit wichtigsten Ölproduzenten Saudi Arabien, das über sieben Mio. Fass pro Tag fördert. Doch die Internationale Energieagentur IEA schätzt, dass aufgrund der sich erschöpfenden Vorräte der Höhepunkt der Produktion dieser Non-Opec Staaten im Jahr 2005 bereits überschritten sein könnte.
Dann werden die nicht angezapften Reserven am Golf noch wichtiger. Russland und die Zentralasiaten könnten für Europa jedenfalls als Erdgaslieferanten weiterhin an Bedeutung gewinnen. Doch wie sich der Energiemarkt Europas langfristig gestaltet, ist eine ungeklärte Frage. Anders als die USA, die Energiepolitik schon vor über 70 Jahren zum Teil nationaler Sicherheit- und Außenpolitik erklärten, ist der EU diese Priorität leider immer noch nicht bewusst geworden. Vielleicht wird in diesem Umbruchsjahr klar, dass Eile in dieser Frage geboten ist, wenn sich Europa nicht einem US-Preisdiktat auf dem Ölmarkt beugen will.
Vorläufige Konklusion
Von einer echten Achse Paris-Berlin-Moskau zu sprechen, ist verfrüht. Wenngleich handfeste Gründe, eben jene in der Ressourcenfrage und der Geopolitik, für eine institutionalisierte Partnerschaft sprechen, so gilt doch die alte Binsenweisheit: Regierungen folgen ihren Interessen, nicht Freundschaften. Wie sich die Interessen in einer Welt, die vorerst von einem Hegemon bestimmt wird, ordnen, kann niemand vorhersagen. „Die Griechen und Barbaren unserer Zeit müssen sich klar werden, wie sie mit dem neuen imperium romanum umgehen," so formulierte Theodor Hanf, Universität Freiburg, die aktuelle Lage trefflich. Und Russland, das Land mit den fünf Zeitzonen, muss zuerst für sich selbst seinen Weg finden. Interessierte deutsch-französische Weggefährten wird es zweifellos haben.
Karin Kneissl
Dr. iur. Karin Kneissl lebt und arbeitet als Journalistin in Wien, studierte von 1983 bis 1987 Rechtswissenschaften und arabisch; 1988 Postgraduate Studium an der Hebraïschen Universität Jerusalem; 1989 fellow in Georgetown. 1990 Eintritt in den diplomatischen Dienst, (Politische Sektion) der Republik Österreich, 1992 Ecole Nationale d'Administration in Paris, 1993 Kabinett des Außenministers, 1994 Völkerrechtsbüro, 1996 Kulturattaché Madrid. Seit 1998 freie Journalistin schreibt sie u.a. für "Die Welt", "Die Presse".



12, juillet 2006
 
 
 
 
 
 
 

 

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